Ich möcht gern Wanderführer sein

 

 

Stoßseufzer eines Leidgeplagten

 

 

Ein jeder Mensch in seinem Leben

Möchte gern nach etwas Höh’rem streben

Und hegt im Herzen einen Traum,

doch Wirklichkeit wird der meist kaum.

Mein Wunsch ist, das gesteh ich ein:

Ich möchte gern Wanderführer sein.

 

Als Wanderführer, ohne Witze

bin ich ganz sicher große Spitze.

Ich wär der Wandergruppe Herr

zu sagen hätt sonst niemand mehr.

Mit Wimpel und mit Ehrenzeichen

Könnt keiner mir das Wasser reichen.

 

Ich würd an allen Wandertagen

Den Trupp früh aus den Betten jagen.

Ich sag, wohin es gehen muss,

wär immer vorn und nie am Schluss.

Und fiel mir noch ein Umweg ein,

es müssten alle hintendrein.

 

Das Tempo, das wär meine Sache.

Ich nähm sie tüchtig in die Mache,

würd möglichst steil bergauf sie jagen,

nicht lang nach ihren Wünschen fragen,

geböte Rast zur Frühstückspause,

gäb das Signal zur Pinkelpause.

 

Ich würde große Reden schwingen,

auch alle mal zum Singen bringen,

natürlich alles besser wissen:

Kritik wird man verkneifen müssen.

Ich gäbe alles dafür her,

wenn ich mal Wanderführer wär.

 

Das war’s, was früher ich mal dachte.

Doch seit ich die Erfahrung machte,

was hinter mir sich alles tut,

verlässt mich aller Führermut.

Ich frage mich: Wie konnte mein

Idol nur Wanderführer sein?

 

Denn welches wirklich schwere Los

hat so ein Wanderführer bloß!

Ganz vorneweg, in allen Fällen,

muss gutes Wetter er bestellen.

Und ist es dann zu kalt, zu heiß,

ist er dran Schuld, wie jeder weiß.

 

Der Weg, das wichtigste Problem,

sei eben stets und recht bequem.

Weich sei der Boden, ohne Steine,

ein Labsal für die Wanderbeine.

Muss wirklich man mal auf Asphalt,

macht man den Wanderführer kalt.

 

Ein Führer soll es nie probieren,

den Weg zu steil bergauf zu führen,

auch nasse Wiesen soll er meiden,

zu lange Kurven möglichst schneiden.

Und geht es gar ins Dunkle rein

möcht ich nicht Wanderführer sein.

 

Wie halt ich nur den Zeitplan ein?

Das Tempo soll gemächlich sein,

man will mal links, mal rechts was sehen,

und bleibt auch mal einfach stehen.

Egal, ob Wirt, ob Führung wartet,

der Gruppentrott ist abgekartet.

 

Nur wenn die Sportschau rückt heran,

fängt mancher Fan zu rennen an.

Die einen sind nicht mehr zu stoppen,

die andern tut das mächtig foppen.

Versucht der Führer jetzt zu schlichten,

wird aller Frust auf ihn sich richten.

 

Auch das Problem der Übernachtung

verdient besondere Beachtung.

Ein jeder will sein Einzelzimmer,

mit Dusche, Klo und Fernsehflimmer.

Natürlich muss es billig sein,

bei Ärger springt der Führer ein.

 

Ich stelle resignierend fest:

Ich halt nicht durch den Führertest.

Man wünscht sich einen Wunderknaben,

indes, ich hab nicht diese Gaben.

Drum lass ich andere Führer sein

und latsche lieber hinterdrein.

 

Autor unbekannt